Mein Smartphone miaut. Auf dem Bildschirm toben Katzen. Einige davon gehören meinen Freunden. Sie luden Fotos und Videos ihrer Haustiere bei Instagram hoch, um sie der Welt zu zeigen. Die Welt kennt Katzen, Fotos von Katzen und Videos von Katzen – dennoch haben die körnigen Fotos mehr Reichweite als manch gekauftes Marketing-Foto. Sollten Unternehmen bei ihren Veröffentlichungen auf Niedlichkeit achten?
Welches Tier-Foto blieb Ihnen jemals im Kopf? Beim Blick in meine Timeline begegnen mir pro Tag rund fünf flauschige Vierbeiner – an ein besonderes Detail von ihnen erinnere ich mich nicht. Wie die unzähligen Wörter, die wir am Tag lesen und vergessen, überfliegen wir heute auch nur noch die Foto-Flut, die uns täglich überrollt. Mehr als 80 Millionen Fotos laden Nutzer der Plattform Instagram pro Tag ins Netz. Vor der Digitalisierung der Fotografie waren Fotografen die Dokumentatoren unserer Gesellschaft. Verlage, Galeristen und Museen editierten die Fotos, die von gesellschaftlicher Bedeutung waren. Fotos, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, waren etwas Besonderes. Großunternehmen hatten Werksfotografen, veröffentlichten Bildbände und organisierten Ausstellungen.

Der Stadtmeister, ein Magazin-Entwurf für Lokalsport in Dortmund, zeigt untypische Fotos und bekommt damit ein Alleinstellungsmerkmal.
Digitale Fotografie und soziale Netzwerke machten Laien zu Bildproduzenten und Editoren. Zeitungen und Unternehmen nutzten die Einsparmöglichkeiten und ersetzten Fotografen durch eine Kamera, die die Redakteure selbst bedienen sollten. Doch wer entscheidet dann heute, welche Fotos von Relevanz sind? – Die Rezipienten selbst! Essen, Blumen und Katzen sind also das Abbild unserer heutigen Gesellschaft, das wir nachfolgenden Generationen hinterlassen werden. „Masse statt Klasse“ scheint nun auch der Gedanke hinter Online-Marketing zu sein. Erst kürzlich integrierte Adobe die Stockfotoagentur fotolia in die Creative Cloud und bietet nun 55 Millionen Assets für drei Euro pro Download an.

Die Leser eines Radsport-Artikels erwarten das typische Foto eines Radfahrers – zeigt man ihnen aber Ausschnitte, die durch Zufall fotografiert wurden, sind sie überrascht.
Das Detail als Chance in der Foto-Flut
Die Bildsprachen vieler Unternehmen ähneln sich, denn sie orientieren sich an dem Angebot günstiger Fotos. Vermeintliche Foto-Experten aus PR-Abteilungen beschreiben ihre Bildsprache als hell und freundlich. Dies ist jedoch schon lange kein Alleinstellungsmerkmal mehr und bleibt der Zielgruppe nicht im Gedächtnis. Der Philosoph Roland Barthes schreibt in seinem Buch „Die helle Kammer – Bemerkungen zur Photographie“ von zwei Phasen der Bildbetrachtung: studium und punctum. Während dem Betrachter beim studium die Fotos auffallen, die seine Interessen ansprechen, sticht ihm beim punctum ein Detail ins Auge und verankert sich im Kopf. Dieses Detail fällt möglicherweise erst in der Erinnerung auf. Die Wirkung ist durch keine Auswertung von Reichweite oder Impressionen zu messen, aber trotzdem eine Chance für Unternehmen, in der Foto-Flut herauszustechen. Orientieren sich Image- und Pressefotos an Themen der Zielgruppe, ist der erste Schritt für eine hohe Reichweite getan. Arbeiten Fotografen einen bestimmten Ausdruck heraus, erinnert sich der Betrachter auch am nächsten Tag noch an diesen – und somit wahrscheinlich auch an das Unternehmen.

Der Wasserballer holt zum Wurf aus, das Wasser tropft an seinem Arm herunter – mehrfach in Zeitungen gesehen. Das Bild zweier Kappen, die wie Quallen am Beckenrand liegen, ist mir neu und sehe ich noch morgen in Gedanken.
Online-Kommunikation lebt von ansprechenden Bildwelten, doch in Unternehmen arbeiten nur noch sehr selten Fotodesigner mit akademischem Abschluss. Die Wiedereinstellung von Werksfotografen oder die enge Zusammenarbeit mit Fotografie-Experten kann jedoch dazu führen, dass Bilder mit einem Unternehmen in Verbindung gebracht werden. Stimmen die Qualität, die Konzeption und der Bezug zur Zielgruppe, können Unternehmen selbst mit Katzenfotos in der Foto-Flut auffallen und Reichweite generieren. Niedlichkeit allein reicht allerdings nicht aus, fotografische Beratung von Profis und ein organisierter Workflow sind unerlässlich.
Fotos: Jan Weckelmann